Überblick über die französischen Regionen

 

Entstehung & Geschichte

Die Regionen sind bei weitem die jüngste Gebietskörperschaft im zentralistischen Frankreich. Während die Geschichte von Gemeinden und Départements bis zur Französischen Revolution zurückreicht, wurden die Regionen erst durch die Dezentralisierungsgesetze (lois de décentralisation) von 1982 zu selbstständigen Gebietskörperschaften und 2003 (!) in der Verfassung verankert.

Die Idee stand allerdings schon länger im Raum. So wurde schon in den 1930er Jahren die Bildung von 26 Regionen, die von „préfets-gouverneurs“ mit der Unterstützung von „conseils régionaux“ verwaltet werden sollten, durch einen Expertenausschuss (Comité technique pour la réforme de l’État) angeregt, jedoch nicht umgesetzt.

Die regionale Frage tauchte in den 1950 Jahren vor dem Hintergrund des Wiederaufbaus und der wirtschaftlichen Modernisierung Frankreichs im Zeichen staatlich verwalteter Planung (planification) und Raumordnung (aménagement du territoire) wieder auf. Eine Vorreiterrolle spielte dabei der 1950 gegründete Comité d’étude et de liaison des intérêts bretons (CELIB), der als eine Art bretonische Lobby fungierte. Dem bretonischen Vorbild folgend erarbeitete die staatliche Planungsbehörde (Commissariat au Plan) Mitte der 1950er Jahre einen ersten regionalen Plan sowie eine Karte der französischen Regionen, welche primär einer wirtschafts- und raumordungspolitischen Rationalität folgte.

Die funktionalistische und technokratische Stoßrichtung der Regionalisierung wurde in den 1960er Jahren unter der Präsidentschaft De Gaulles noch verstärkt. Mit der Einrichtung der Commissions de dévelopment économique régional (CODER) 1964 wurden die Regionen zur zentralen Handlungsebene für wirtschaftliche und soziale Modernisierung erhoben.

Diese Dynamik kam jedoch mit dem gescheiterten Referendum von 1969 über die Reform des Senats und die Regionalisierung abrupt zum Erliegen. Die abgelehnte Verfassungsänderung sah die Schaffung von Regionen als selbstständigen Gebietskörperschaften mit eigenen Finanzmitteln unter der Leitung von préfets und conseils régionaux aus gewählten Volkvertretern und Vertretern von Wirtschaftsverbänden vor. Stattdessen wurden 1972 die Regionen in Gestalt viel schwächerer établissements publics régionaux ins Leben gerufen.

Die frühe Phase der Regionalisierung in Frankreich war insgesamt von staatlichem Interventionismus gepaart mit einem modernistischen, technokratischen und korporatistischen Impetus gekennzeichnet, weshalb in der Literatur von „régionalisme fonctionnel“ die Rede ist. Ab den 1960er und 1970er Jahren wurden jedoch mit dem Aufstieg regionalistischer Bewegungen, insbesondere in der Bretagne, Korsika und Okzitanien, Forderungen nach einer politischen Ermächtigung der Regionen und der Demokratisierung regionaler Institutionen laut. Vor allem linke Kreise, und insb. die PSU von Michel Rocard, machten sich den Ruf nach Dezentralisierung und Regionalisierung zu eigen und setzten sich für die Übertragung substantieller Machtressourcen und Kompetenzen an gewählte regionale Volksvertretungen ein.

Nach dem Machtwechsel 1981 wurde der Weg für die Dezentralisierung endlich frei und die Regionen durch das Gesetz vom 2. März 1982 als eigene Gebietskörperschaften anerkannt. 1986 folgten die erste Regionalwahlen.

Die Reform der Regionen 2015

Die Institutionalisierung der Regionen setzte sich in den folgenden Jahrzehnten zwar rechtlich und in der Praxis (dans le droit et dans les faits) fort, jedoch nur langsam und verworren. Die wachsenden Kompetenzen und stark steigenden Haushaltsmittel der Regionen (eine Verdreifachung in den letzten 15 Jahren) erfolgten allerdings auf einer z.T. wackeligen rechtlichen Grundlage, die insb. Kompetenzabgrenzungsschwierigkeiten mit sich brachte.

Vor diesem Hintergrund wurden die Regionen durch das Gesetz vom 7. August 2015 (loi portant nouvelle organisation territoriale de la République, NOTRe) reformiert. Kernpunkte der Reform waren:

– neue regionale Grenzziehungen bzw. Zusammenlegung existierender Regionen (von früher 22 Regionen auf 13 Großregionen in France métropolitaine) mit dem Ziel, Einsparungen zu erzielen und leistungsfähige wirtschaftliche Einheiten zu bilden;

– Erweiterung der regionalen Kompetenzen;

– größere finanzielle Autonomie.

Die politische und administrative Bedeutung der Regionen darf allerdings auch nach der Reform von 2015 nicht überschätzt werden. Grund hierfür sind ihre immer noch sehr bescheidenen finanziellen Ressourcen, vor allem aber auch das Fehlen jeglicher Normsetzungskompetenz:

„les régions françaises ne concourent en aucune manière à la production normative ni même à l’adaptation territoriale de la norme nationale. […] les collectivités territoriales françaises, dont les régions, disposent avant tout de compétences de mise en oeuvre souvent partielles et non de conception globale des dispositifs d’interventions.“ (Pasquier 2016 : 24)

Mangels Normsetzungsbefugnisse bleibt den französischen Regionen vor allem zwei Arten von Instrumenten übrig: die unverbindliche Planung (planification non-contraignante) und Subventionen.

An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass französische Gebietskörperschaften untereinander prinzipiell weder aufsichts- noch weisungsberechtigt sind („absence de tutelle d’une collectivité sur une autre“). Abgesehen von wenigen, durch das NOTRe eingeführten Ausnahmen, sind also Regionen weder den Départements noch den Gemeinden gegenüber hierarchisch höhergestellt.

Kompetenzen & finanzielle Ausstattung

Der Kompetenzkatalog der Regionen ist in den letzten Jahrzehnten zwar konstant gewachsen, bleibt allerdings überschaubar. Die Bedeutung der einzelnen Kompetenzbereiche lässt sich annähernd an ihrem jeweiligen Anteil an den Haushaltsmitteln ablesen:

Die Regionen können allerdings keinen dieser Politikbereiche „ihr Eigen“ nennen, sondern sie sind in ein komplexes Geflecht an z.T. überlappenden Zuständigkeiten eingebettet (siehe Anhang 2 „Verteilung der Kompetenzen zwischen den unterschiedlichen territorialen Ebenen“).

Eingeschränkt wird außerdem der politische Gestaltungsspielraum der Regionen durch ihre sehr bescheidenen finanziellen Ressourcen (ca. 30 Mrd. €/Jahr für alle französischen Regionen) – sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich zu den Gemeinden und Départements.

Dabei bestehen erhebliche Unterschiede in der finanziellen Ausstattung der Regionen mit Pro-Kopf-Ausgaben, die in France métropolitaine von 400€ bis 1500€/Jahr reichen (vgl. Anhang 1 „BIP & Ausgaben (pro Kopf) und Bevölkerungsgröße französischer Regionen“). Diese Unterschiede korrelieren weder mit dem BIP-pro-Kopf noch der Ausprägung einer etwaigen regionalen Identität. Am ehesten lassen sie sich durch die Einwohnerzahl erklären: Je mehr Einwohner eine Region hat, desto höher fallen die Ausgaben pro Einwohner aus.

Bei alledem kann allerdings als positives Zeichen bewertet werden, dass die finanzielle Autonomie der Regionen zuletzt größer wurde. So ist zwischen 2016 und 2018 der Anteil der staatlichen Zuschüsse (dotations de l’État) an den Einnahmen der Regionen von 31% auf 10% zugunsten von Steuereinnahmen zurückgegangen.

Wahl und Funktionsweise der conseils régionaux

Die Regionalräte (conseillers régionaux) werden alle 6 Jahre nach einem Mischsystem aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht gewählt (zuletzt 2015). Die Anzahl der Regionalräte variiert je nach Regionen stark: von 77 Mitgliedern in Centre-Val-de-Loire bis 183 in Nouvelle Aquitaine bis hin zu 209 in Île-de-France.

Die Regionalräte wählen aus ihrer Mitte den Regionalratspräsidenten, der zugleich Chef der regionalen Exekutive ist, und seine Vizepräsidenten.

Der Regionalrat tritt wenigstens einmal pro Trimester im Plenum zusammen sowie auf Wunsch der Präsidenten, der Vizepräsidenten oder eines Drittels der Regionalräte. Der ständige Ausschuss (commission permanente), bestehend aus dem Präsidenten, den Vizepräsidenten sowie einer Anzahl Regionalräte aus allen politischen Lagern, kommt jeden Monat zusammen und berät und entscheidet über die Berichte der Fachausschüsse.

Rolle der Regionen im EU-Gesetzgebungsprozess

Alle französischen Regionen verfügen über eine Vertretung in Brüssel. Mangels Gesetzgebungsbefugnisse sind die Regionen jedoch in keiner Weise an der Subsidiaritätskontrolle nach Art. 6 des Protokoll Nr. 2 des Vertrags von Lissabon beteiligt:

„There are no legal mechanisms in place that grant regions, departments or municipalities the right to independently assess draft EU initiatives for potential violations of the subsidiarity principle. Moreover, there are no formal mechanisms for incorporating the positions which may be taken by these authorities into the subsidiarity monitoring process.“ (CoR 2013)

Französische Gebietskörperschaften sind daher für die Wahrnehmung ihrer Interessen im EU-Gesetzgebungsprozess auf den Sénat angewiesen, dessen Mitglieder durch Vertreter der Gebietskörperschaften gewählt werden. Der Sénat organisiert außerdem regelmäßige informelle Treffen mit Vertretern von Gemeinden, Départements und Regionen, wo diese ihre Bedenken, unter anderem bezüglich EU-Gesetzgebungsvorschläge, äußern können.

Quellen:

– Association des Régions de France (2017): Les chiffres clés des régions, Septembre 2017

– Committe of Regions (2013) : The Subsidiarity Early Warning System of the Lisbon Treaty – the role of regional parliaments with legislative powers and other subnational authorities

– Kemps, Udo (2017): Das politische System Frankreichs, 5. aktualisierte und erweiterte Ausgabe, Wiesbaden: Springer VS, pp. 291-308 (Kap. 14 „Kommunal- und Regionalpolitik)

– Pasquier, Romain (2016) : Les régions dans la réforme territoriale. Des colosses aux pieds d’argile ?, in : Cahiers français N° 391, La Documentation française, pp. 20-25.

Anhang 1: BIP & Ausgaben (pro Kopf) und Bevölkerungsgröße französischer Regionen (ohne Überseegebiete)

Anhang 2: Verteilung der Kompetenzen zwischen den unterschiedlichen territorialen Ebenen