Debating Europe – citizen dialogues in regions?

Citizen participation within the framework of the Conference on the Future of Europe is nothing new. The EU has been using participatory instruments for several years. However, the conceptualization and implementation of these formats at European level is often being criticized and the success seems to be limited. Having participated in a regional citizen dialogue, the author reflects on the potential of these formats about the EU on a regional level. (Blog post in German)


Die derzeit laufende Konferenz zur Zukunft Europas weist im Unterschied zum Europäischen Konvent u.a. einen entscheidenden Unterschied auf: Ein partizipatives Element. Zum einen sind BürgerInnen aufgerufen, sich mit Ideen auf der digitalen Konferenzplattform zu beteiligen, zum anderen werden BürgerInnenpanels auf europäischer Ebene durchgeführt. Aber auch nationale und regionale politische Akteure können eigene BürgerInnenpanels im Rahmen der Zukunftskonferenz durchführen. So hat sich z.B. die NRW-Landesregierung mit einem eigenen BürgerInnenpanel an der Zukunftskonferenz beteiligt. Seit September konnten sich die NRW-BürgerInnen mit ihren Ideen zur Zukunft Europas auf einer Digitalplattform einbringen, wovon einige Vorschläge in einem BürgerInnendialog im November diskutiert wurden. Bei der Teilnahme an dieser Veranstaltung kam die Frage auf: Welchen Mehrwert haben BürgerInnendialoge auf regionaler Ebene, die sich mit EU und Europa beschäftigen?

 

Hindernisse auf dem Weg zur gelungenen Partizipation

Die EU experimentiert seit Jahren mit partizipativen Instrumenten. Punktuell werden BürgerInnendialoge und Konsultationsformate durchgeführt (u.a. Plan D, European Citizens Consultations). Diskutiert werden Fragen zur EU, wo die Kompetenzverteilung, Politikfelder und die Rolle der EU-Institutionen in Entscheidungsprozessen eine beliebte Diskussionsgrundlage bieten. Trotz dieser Bemühungen um einen stärkeren Einbezug von BürgerInnen in die europäische Politik sind diese Beteiligungsformate (wie in anderen Politikfeldern auch) mit einer Reihe von Risiken verbunden, wovon Nanz & Fritsche (2019, S. 131) nur eine Auswahl benennen: Herausforderungen auf dem Weg zu einer erfolgreichen BürgerInnenpartizipation liegen beispielsweise darin, dass der Wille seitens der Politik zur Unterstützung fehlt und diese um ihre Entscheidungsmacht fürchtet. Auch kann der zugemessene Gestaltungsspielraum zu eng bemessen sein, wenn im Vorfeld wesentliche Entscheidungen feststehen oder BürgerInnen zu spät eingebunden werden. Unter Umständen wollen BürgerInnen die Möglichkeit ihrer Beteiligung nicht nutzen, weil diesbezüglich in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht wurden oder weil sich alternative Wege der Intereressendurchsetzung eröffnen. Und nicht zuletzt schadet eine homogene Auswahl der Teilnehmenden einer konstruktiven Debattenkultur. Was also tun? In Kürze skizziert weisen eine Reihe von Empfehlungen von Kindermann et al. (2020, S. 5f.) darauf hin, wie sich der Mehrwert von BürgerInnendialogen in der Europapolitik vergrößern lässt – ohne, dass auf hohe Erwartungen große Enttäuschungen folgen. So wird gefordert, dass die BürgerInnendialoge keine überhöhten Ansprüche für BürgerInnen und Politik erfüllen können. Diese Formate benötigen einen realistischen Rahmen für Konzeption und Umsetzung, wo klare Funktionen und Ziele bestimmt werden müssen. Selbst wenn die Ziele für einen BürgerInnendialog klar bestimmt wurden, werden sie wenig Wirkung entfalten können, wenn entsprechende Ergebnisse aus den Diskussionen nicht in politische Entscheidungsprozesse einfließen.

 

Regionen als europapolitische Player

Auf Grundlage dieser Kritik macht es Sinn darüber nachzudenken, ob nicht auch regionale PolitikerInnen mit ihren BürgerInnen über EU und Europa diskutieren sollten. Dies mag unter Umständen erst einmal kontraintuitiv erscheinen, sind doch die nationalen Regierungen und die EU-Institutionen die wesentlichen Player in der Europapolitik. Jedoch sind regionale Regierungen und Parlamente seit Jahrzehnten aktiv im Feld der Europapolitik, haben entsprechende Kapazitäten aufgebaut und verfügen über entsprechende Netzwerke. Hier sind insbesondere die „starken“ Regionen wie die deutschen Bundesländer oder belgischen Regionen zu benennen, die über substanzielle legislative Kompetenzen verfügen und innerhalb des nationalen Rahmens an der mitgliedstaatlichen Koordinierung der Europapolitik mitwirken. Abseits dieser innerstaatlichen Zugangskanäle verfügen Regionen über extrastaatliche Einflusswege wie regionale Vertretungsbüros in Brüssel, regelmäßigen Austausch mit der EU-Kommission, dem Europaparlament, dem Ausschuss der Regionen, anderen europäischen Regionen sowie Interessenorganisationen. Im Sinne dieser Mehrebenenpolitik wird hervorgehoben, dass auch Regionen europapolitische Player sind.

 

Regionen als Vermittler

Wie der Annual und Local Barometer 2021 des Ausschusses der Regionen zeigt, vertrauen die EU-BürgerInnen der regionalen Ebene im Vergleich zu anderen politischen Akteuren am meisten. Vertrauen stellt eine wichtige Ressource dar, es ist der soziale Kitt. Ohne Vertrauen können gesellschaftliche Teilbereiche wie die Politik nur bedingt funktionieren. Landfried (2019, S. 571) schreibt zum Vertrauen in Demokratien, dass das „Vertrauen der Bürger in die europäischen Eliten und Institutionen, Empathie, das Engagement für eine gemeinsame europäische Zukunft, ein Zugehörigkeitsgefühl zur EU, ein kooperatives Verhalten, die Anerkennung von Anderssein und ein kommunikativer Umgang mit diesem Anderssein“ elementare Voraussetzungen für ein funktionierendes demokratisches System darstellen. Neben Vertrauen ist die Zugehörigkeit zu sozialen Gemeinschaften zu berücksichtigen. BürgerInnen fühlen sich häufig zu einer Region zugehörig und identifizieren sich mit dieser, sodass man annehmen kann, dass die BürgerInnen den regionalen Regierungen und Parlamenten vertrauen. Aus der Identifikation mit der Region heraus kann durch die Beschäftigung mit EU und Europa in BürgerInnendialogen ein Beitrag dazu geleistet werden, ein europäisches Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und das Vertrauen in regionale und europäische Institutionen zu erhöhen.

Des Weiteren können regionale BürgerInnendialoge zu EU-Themen als Ideen-Input für die Politik fungieren. BürgerInnendialoge wären als ein ergänzendes Element zu betrachten, bei dem durch das „Wissen der Vielen“ vielfältige Perspektiven auf Sachfragen ermöglicht werden können. Verbunden wäre das mit Lerneffekten für BürgerInnen und für die regionale Politik. Die Politik hat die Möglichkeit abseits von Entscheidungsprozessen in der Interaktion mit ihren BürgerInnen europapolitische Fragen zu diskutieren und auszutauschen. Auf der anderen Seite wäre für die BürgerInnen die Partizipation in BürgerInnendialogen eine wichtige Erfahrung, denn diese müssten sich in der Interaktion mit der regionalen Politik mit politischen Prozessen, Akteuren und Institutionen (zumindest rudimentär) beschäftigen. Es genügt für die teilnehmenden BürgerInnen nicht nur Forderungen an die regionale Politik zu richten, dass die Region dieses oder jenes in der EU tun soll. Sondern die BürgerInnen kriegen ein besseres Verständnis für die Komplexität von politischen Entscheidungsprozessen im europäischen Mehrebenensystem.

 

Fazit

Festgehalten werden kann, dass Dialoge zur Zukunft der europäischen Integration einen Mehrwert haben können, wenn diese von regionalen Regierungen und Parlamenten durchgeführt werden. Die regionale Politik kann als „Brückenbauer“ zwischen EU, mitgliedstaatlicher und regionaler Ebene fungieren. Denn zum einen sind regionale politische Akteure seit Jahrzehnten europapolitisch aktiv. Sie sind „europafähig“ geworden. Zum anderen bringen die BürgerInnen der regionalen Ebene hohes Vertrauen entgegen und haben oftmals ein regionales Zugehörigkeitsgefühl, was sie dazu veranlasst, die regionale Regierung oder das regionale Parlament als ersten Ansprechpartner in ihren Belangen zu betrachten. Insbesondere in föderalen oder dezentralisierten Mitgliedstaaten kann ein Mehrwert hergestellt werden, dass BürgerInnen und Politik in europapolitischen Fragen in einen Dialog treten. Denn durch inner- und extrastaatliche Verhandlungswege können Regionen versuchen Einfluss auf die nationale Regierung oder auf EU-Institutionen zu nehmen. Ergebnisse aus BürgerInnendialogen würden so nicht ins Leere laufen, wenn, wie in der Kritik zu Beginn des Beitrags beschrieben, die Vielzahl von Stolpersteinen in der Konzeption und Durchführung von BürgerInnendialogen berücksichtigt werden. Falls dies jedoch nicht gelingen sollte, drohen jene Beteiligungsformat eine PR-Show zu werden. Eine Kluft zwischen Politik und BürgerInnen könnte sich im Falle des Misslingens verschärfen – mit entsprechenden spürbaren, politischen Konsequenzen.

 

Quellen:

Ausschuss der Regionen (2021): EU Annual Regional and Local Barometer, https://cor.europa.eu/en/our-work/Documents/barometer-fullreport%20web.pdf [15.12.21]

Kindermann, Paul, Meyer, Sarah, & Wolf, Mario (2020): Innovative participatory instruments for the EU. Working Paper Series No. 2. Donau-Universität Krems, Department für Europapolitik und Demokratieforschung. Krems an der Donau.

Landfried, Christine (2019): Bürgerkonferenzen als Potential für einen Neuanfang der EU, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 32(4), 570-583.

Nanz, Patrizia, & Fritsche, Miriam (2012): Handbuch Bürgerbeteiligung. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn.