Holpriger Start, offener Ausgang: die Konferenz zur Zukunft Europas

Die Konferenz zur Zukunft Europas hat nun endlich begonnen. Der Verhandlungsprozess im Vorlauf war geprägt von grundlegenden Unstimmigkeiten auf europäischer Ebene. Der folgende Blogbeitrag wirft einen kritischen Blick auf die Entwicklungen im Vorfeld des Konferenzstarts, die ein zugrundeliegendes inter-institutionelle Dilemma offenlegen.

Jetzt hat sie also begonnen, die bereits lange angekündigte Konferenz zur Zukunft Europas, bei der die BürgerInnen zu Wort kommen und eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der EU spielen sollen – so angekündigt von Ursula von der Leyen im Juli 2019. Am diesjährigen Europatag, dem 9. Mai, fiel der offizielle Startschuss, bis zum Frühjahr 2022 soll die Konferenz ihre Schlussfolgerungen erarbeitet haben.

Zwei Jahre hätte die Konferenz eigentlich dauern und bereits vor einem Jahr beginnen sollen.

Die zeitliche Verzögerung ist freilich nicht nur der aktuellen Pandemiebekämpfung geschuldet. Vielmehr konnten sich die drei EU-Institutionen – Parlament, Kommission und Rat – lange Zeit nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Dies betraf etwa die Frage der Vorsitzführung: Eine “eminente europäische Persönlichkeit” hätte diese Funktion eigentlich übernehmen sollen, ausgewählt im Einvernehmen zwischen den drei Institutionen und als unabhängiger Vorsitz agierend. Guy Verhofstadt – ehemaliger belgischer Regierungschef, seit 2009 streitbarer Abgeordnete im Europaparlament und lautstarker Befürworter eines föderalen Europas –  dürfte dem Rat dann aber doch zu riskant gewesen sein. Die Streitfrage um den Konferenzvorsitz konnte nur durch eine – recht österreichisch anmutende – Kompromissformel gelöst werden: Den Vorsitz teilen sich nun die PräsidentInnen von Parlament, Kommission und Rat, auch im entscheidenden Exekutivkomitee sind die drei Institutionen paritätisch vertreten – und müssen Entscheidungen im Konsens treffen.

Eine ähnlich nebulöse “Lösung” erfolgte in der Frage, ob Vorschläge über Vertragsänderungen durch das Mandat der Konferenz umfasst sind (so gefordert vom Parlament) oder nicht (worauf der Rat beharrte): Das Thema bleibt in der Gemeinsamen Erklärung vom 10. März schlicht unerwähnt; beide Seiten können dies als Verhandlungserfolg verbuchen, während die eigentliche Frage ungeklärt bleibt.

Konflikte gab es bis zuletzt auch über die Rolle des Konferenzplenums: Soll das Plenum das letzte Wort haben über die von der Konferenz zu verabschiedenden Empfehlungen oder obliegt diese Aufgabe dem Exekutivkomitee, für dessen Entscheidungen es, wie schon erwähnt, einen Konsens zwischen den Vertretern von Parlament, Kommission und Rat benötigt?

 

Schwierige Konsensfindung auf europäischer Ebene

Ambitioniert sieht anders aus, ist man daher geneigt zu konstatieren. Doch darf auch nicht vergessen werden, wie schwierig sich die Konsensfindung auf europäischer Ebene oftmals gestaltet. Das liegt nicht zuletzt an den teils massiv divergierenden Interessen zwischen den EU-Institutionen bzw. im Falle des Rates auch innerhalb einer Institution, die sich jedoch allesamt auf gemeinsame Lösungen verständigen müssen.

Der Verhandlungsprozess im Vorlauf zur Zukunftskonferenz offenbart damit ein grundsätzliches Dilemma der EU: Mit ihren gegenwärtigen Strukturen ist sie nicht nur schwerfällig in der Entscheidungsfindung, sondern produziert vielfach auch suboptimale Kompromisslösungen, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der relevanten Akteure basieren.

Eine Änderung ebendieser Strukturen würde aber Einigkeit allen voran unter jener Gruppe voraussetzen, die sich oftmals eben nicht einig ist: Ohne die Zustimmung sämtlicher EU-Mitgliedstaaten (die nicht umsonst als die “Herren der Verträge” bezeichnet werden) sind Änderungen in den Entscheidungsstrukturen und -modi nicht umsetzbar.

Es bleibt abzuwarten, welche Empfehlungen die Konferenzgremien dem Dreier-Vorsitz aus Parlament, Kommission und Rat schlussendlich überhaupt vorlegen werden. Nicht zuletzt daran wird sich zeigen, ob die vielbeschworene BürgerInnenbeteiligung ernst genommen oder als Alibiaktion enttarnt werden muss. Die EU-Institutionen – und allen voran der hier maßgebliche Rat –  wären jedenfalls gut beraten, die Konferenzergebnisse tatsächlich aufzugreifen und allfällige Reformvorschläge auch zu EU-Kompetenzen und -Strukturen nicht unter den Teppich zu kehren. Anderenfalls wäre die gesamte Konferenz nicht mehr als eine Farce – und damit ein willkommenes Geschenk für alle EU-Skeptiker und Populisten, das sich mit politischem Wille vermeiden ließe.

Eine gekürzte Fassung des Beitrags wurde am 10.5.2021 in der Wiener Zeitung veröffentlicht, siehe hier.